Auf Abwegen beim T91

    Als ich mit dem Triathlon 2008 anfing, wurde mir schnell klar, dass mich eher die langen Distanzen reizten.

    Daraus ergab sich folglich das Ziel, eine Langdistanz zu bestreiten, welche ich erfolgreich 2011 hinter mich brachte. Es ist aber auch so, dass mir das Laufen am meisten liegt, am liebsten allein und lang, gern auch abseits von asphaltierten Strecken. Kurzum, neben dem Triathlon besteht ein Hang zu Crossläufen wovon auch die folgende Erzählung handelt:

    Mitte des letzten Jahres wuchs der Wunsch in mir mal wieder einen längeren Wettkampf zu bestreiten, Zielstellung war ein Crosslauf um die 100 km. Bis dato hatte ich den Rennsteig-Supermarathon, mit 72,7 km gefinished. Nach einiger Recherche fiel meine Wahl auf den Irontrail mit Ziel in Davos (Schweiz) mit einer Distanz von 90,3 km sowie ca. 5400 hm. Also begann ich mit dem Training und eigens erstellten Plänen, weil mir die verfügbaren Ultrapläne zu zeitintensiv und unrealistisch erschienen. Zur Kontrolle meines Trainingserfolges bestritt ich den OEM und zum 2. Mal den Rennsteig-Supermarathon. Die Ergebnisse waren jedoch nicht so brillant wie erhofft, also fragte ich Jörg um Rat, der mir auch die schmerzliche Realität vor Augen führte (zu viele langsame Einheiten, zu wenig schnelle Einheiten gemacht zu haben), aber auch Lösungsansätze anbot, die ich dann natürlich akribisch befolgte. Einige lange Einheiten widmete ich zu Tempo- oder Bergeinheiten um. Wobei angemerkt sei, dass mein Trainingsberg eine Höhendifferenz von 25 m aufwies, eine wettkampfnahe Höhensimulation war also nur sehr bedingt möglich. Die Trainingsumstellung schien aber zu wirken und so fuhr ich optimistisch in die Schweiz, neugierig auf die geplanten 2 Trainingseinheiten zur Vorbereitung des Wettkampfes.

    In der Schweiz, unweit vom Wettkampfort angekommen, wurde mir klar, dass es eine sehr zähe Angelegenheit werden würde. In der ersten Trainingseinheit brachte ich ca. 500 hm hinter mich, mit Steigungen um die 16%. Mein Körper wunderte sich sehr, insgesamt lief es aber. Auch die Zweite Einheit mit ca. 700 hm mit bis 20% ging in Ordnung. Einziger Wermutstropfen waren dadurch hervorgerufene Wehwehchen, die bis zum Wettkampfvorabend nicht mehr gänzlich verschwanden.

    Das Abholen der Startunterlagen versetzte mir gehörigen Respekt, denn die T201-Starter (200,3 km 11.440 hm) holten ebenfalls die Unterlagen ab. Physisch kam ich mir leicht unterdurchschnittlich vor, tröstete mich aber damit, dass ich weniger als die Hälfte vor mir hatte.

    9:15 Uhr am 6.8. in Bergün war der Start angesetzt, natürlich hatte ich mir eine Marschtabelle vorbereitet und den Rucksack inkl. Pflichtausrüstung doppelt geprüft. Insgesamt trug ich je nach Wasserstand ca. 6 kg mit mir rum. Im Gespräch mit einem erfahreneren Athleten berichtete dieser, dass er früher (2004) schon auf Hawaii war und heute den Marathon "nur" noch in 2:49 h lief. Sein Ziel sei es, den T91 in ca. 15 h zu schaffen. Mein Überschlag im Kopf ergab für mich, dass meine Zielsetzung von 24 h wohl realistisch war… Dann ging es los.

    Zu Beginn liefen wir noch dicht gedrängt auf einer Straße, schon bald ging es aber ab ins Gelände noch auf Wegen wie man sie auch aus hiesigen Gefilden kennt. Es zeigte sich schnell, dass fast alle bereits bei kleineren Anstiegen begannen zu gehen, in dem Wissen, dass man seine Energie noch für die Berge brauchen würde.

    Recht schnell wurde es auch schon Ernst, bereits im Wald wurde es steiler – der Wald begann sich zu lichten, die Baumgrenze bei ca. 2000 m war erreicht. Danach folgten noch Wiesen und Wege, je weiter man nach oben kommt desto mehr lösen sich diese Wege aber auf und wurden zu Bächen, gespeist aus dem Schnee von oben und dem Niederschlag des letzten Tages. Teilweise orientierte man sich nur noch an den Markierungen (wenn vorhanden) oder später an den Bergpässen.

    Am höchsten Punkt angekommen, schneller als geplant (2:20 h), kamen Zweifel ob ich den Lauf durchhalten würde. An Joggen war schon lange nicht mehr zu denken. Ich fühlte mich an Bergsteigerfilme erinnert, man spürte die zunehmende Höhe. Auch fragte ich mich, wie schlau es war keine Trailschuhe zu tragen – auf der folgenden Bergabpassage war der Schnee teilweise 30 cm tief und Bachpassagen inkl. Schlammschlacht waren Normalität. Aufgrund der Höhe verbrauchte ich mehr Wasser als im Flachland, was dazu führte, dass mein Vorrat erschöpft war. Glücklicherweise konnte ich dieses Problem in einem Gebirgssee lösen. Dadurch schlossen 4 Läufer auf, mit denen ich für die nächsten 2 Stunden gemeinsam lief. Der entstehende Vorteil ist nicht zu unterschätzen, kann man sich doch in der Wegfindung abwechseln und auch mal abschalten. Mein Gesprächspartner war 38, Raucher und hatte bisher nur einen Marathon als Vorbereitung bestritten – er sollte 1 h vor mir ins Ziel kommen.

    In Savognin (14:25 Uhr) war der erste große Verpflegungspunkt, man kam sich vor wie im Wirtshaus – die Helfer waren alle sehr nett und nahmen die Essensbestellungen auf, servierten, füllten auf Wunsch den Rucksack auf und gaben jede Menge seelischen Beistand. Man musste aufpassen, nicht zu versacken. Obwohl ich mich beeilte dauerte die erste Pause 12 Minuten, dann ging es weiter, dem nächsten Berg entgegen immer noch voll im Zeitplan. Es stellte sich jedoch relativ rasch ein gewisses Unwohlsein und Abgeschlagenheit ein, ich wurde langsamer und einsamer. Irgendwann schloss ein großgewachsener Athlet auf, die Unterhaltung war sehr willkommen, lenkte sie mich doch vom momentanen Zustand ab. Er war aus den Niederlanden und wollte 19 h erreichen, wir liefen ein Stück gemeinsam, überholten T201-Athleten und zollten Respekt, schließlich hatten sie 110 km und 29 h mehr in den Beinen als wir. Meine Stimmung hellte sich auf, es ging allein weiter und bald kam ich zum nächsten Verpflegungspunkt, Getränke auffüllen und schnell weiter. Ich erreichte den tiefsten Punkt der Tour bei 863 m. Nun ging es wieder bergauf, aber in einer vegetationsreichen Gegend mit einer großartigen Landschaft.

    Es ging weiter, die Stimmung war gut. Langsam aber sicher wurde es steiler und gedanklich bereitete ich mich auf die nächste große Verpflegungsstelle vor, in dem Glauben (und gemäß dem Plan) vor der Dunkelheit noch einen Getränkestützpunkt zu erreichen. Beim Betreten (17:35 Uhr) stutzte ich, stand in der Tür „Posten Lentz“. Sicherheitshalber fragte ich den Postenchef, der mir eröffnete, dass leider ein Fehler unterlaufen sei – der nächste Halt wäre die Hörnlihütte. Ergo gäbe es kein Zwischenhalt, also nächster Stopp erst in der Nacht. Grund für mich etwas mehr zu Essen (Pasta) und mehr Proviant mit zu nehmen, wollte ich die Erfahrung vom Morgen mit mangelndem Wasser ungern wiederholen. Trotz meines Stehimbisses brauchte ich 16 Minuten, bis ich wieder los kam. Schnell war der 45-km-Countdown erreicht, dann wurde es wieder zäher. Es ging in die Berge, die Baumgrenze wurde überschritten und die Nacht kam immer näher, es wurde kälter und windig. An einem Lift, der bereits zu hatte, traf ich wieder den Belgier. Wir pausierten kurz und wappneten uns für die Nacht mit einer kurzen Stärkung, Kleidung und Beleuchtung. Dann ging es immer steiler bergauf und kurz nach dem Pass war die Dunkelheit völlig eingebrochen, alle schalteten Ihre Lampen an. Ein sehr nett anzusehendes Spektakel, eine sich langsam vorwärts bewegenden Glühwürmchenkette. Das Erreichen der Hütte (22 Uhr) war grandios, draußen kalt und windig, drinnen warm und lecker Verpflegung wie immer Unterstützung beim Auffüllen und Ausruhen. Dann ging es weiter, bergab war ich bis zur nächsten Verpflegung allein. Im Gebirge bei der Wegsuche war meine Lampe am Limit, so dass ich mich hier und da kurz verlief und weiteres Optimierungspotential für mich vermerkte. Die Zeit verging recht schnell, die Müdigkeit machte sich aber zunehmend bemerkbar. So geschah es, kurz vor dem nächsten Verpflegungspunkt, dass ich mir selbst mit den Stöcken ein Bein stellte und sehr unsanft landete. Nun war mir wieder sehr warm, auch schien ich, keine ernsthaften Verletzungen davongetragen zu haben. Dann war er da (01:00 Uhr), der nächste Verpflegungspunkt, in einer Bunkeranlage vom Zivilschutz - sehr imposant. In bewährter Verfahrensweise stärkte ich mich, staunte wieder einmal über anwesende T201-Athleten und machte mich auf zur letzten Etappe und einen erneuten Anstieg. Dann wurde ich langsamer, es wurde kälter und die Stimmung rutschte auf den Tiefpunkt. Einige Wegunsicherheiten kamen hinzu, es machte keinen Spaß mehr. Gleichzeitig war ich aber ziemlich sicher, nun das Ziel zu erreichen. Bergab ging es nur noch gehend, weil Knie und Oberschenkel am Limit waren. Ich legte mehrere Umziehpausen ein und Athleten überholten mich. Irgendwann holte ich aber einen T201-Athleten ein. Dieser verfügte auch über eine angemessene Beleuchtung und so klemmte ich mich an seine Fersen. Wir überquerten einen Fluss (natürlich ohne Brücke) zu meiner Verwunderung ohne Sturz und erreichten den letzten Verpflegungspunkt vor dem finalen Pass. Dann ging es in den letzten steilen Anstieg, ich warf noch einmal alle Reserven in die Waagschale und folgte einem 3er-Gespann. Langsam wurde es hell und wir erreichten den Pass. Nun ging es nur noch 5 km bergab, was für mich leider wieder hieß: langsam mit den Stöcken gehen. Aber nun war klar, es ist geschafft. Die Bäume wuchsen wieder, die Freude kam langsam auf, Davos bald erreicht zu haben. Im Ziel (06:51 Uhr, 21:36:35 h) standen nur eine Handvoll Leute und zur völligen Überraschung meine Frau, dank Livetracker holte sie mich ab. Nun gab es endlich eine warme Dusche, Essen und ein Bett. Die Sieger waren bereits seit gut 8 Stunden durch.

    Fazit: ein großes Abenteuer mit toller Organisation und Landschaft, mein Respekt vor allen Teilnehmern vom T201. Die Gesamtsiegerin (Andrea Huser) brauchte 35 h und war damit auch schneller als alle Männer. Die ersten 15 h gab es heftigen Dauerregen und Schneefall auf den Pässen.

    Sportliche Grüße

    Till

    Weitere Infos zum Lauf gibts unter >>http://www.irontrail.ch<<

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